Wolf Haas ist vor allem für seine Brenner-Krimis bekannt („Jetzt ist schon wieder was passiert“), doch der österreichische Schriftsteller hat schon eine ganze Reihe weiterer bemerkenswerter Bücher geschrieben wie „Verteidigung der Missionarsstellung“ oder „Das Wetter vor 15 Jahren“.
Sein neuestes Werk heißt „Eigentum“ und ist besonders anrührend. Die Ich-Erzähler von Wolf Haas heißen oft Wolf Haas, so auch dieses Mal, und man tritt Wolf Haas bestimmt nicht zu nahe, wenn man vermutet, dass in diesem 157-seitigen Roman viel autobiografisches Material steckt.
Der Ich-Erzähler weiß, dass seine fast 95-jährige Mutter in drei Tagen sterben wird, und beeilt sich, ihr Leben aufzuschreiben. Schon der Einstieg ist so gelungen, wie ihn nur Haas schafft. Seine Mutter bittet ihn, ihre Eltern anzurufen, um ihnen mitzuteilen, dass es ihr gut geht.
„Ich war angefressen. Mein ganzes Leben hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging.“
Der Ton ist gesetzt: „Eigentum“ kein kitschiges Buch, das die Mutter verklärt. Haas kennt ihre Schwächen und erzählt sie schonungslos. Und dennoch hat er ihr ein Denkmal gesetzt, denn er erzählt das Leben einer „kleinen Frau“, die sich durchbeißen muss, deren Leben von „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ geprägt ist. Erst um ihre elterliche Familie zu unterstützen, dann um ihre beiden Söhne durchzubringen. Der Ehemann ist keine große Hilfe, versäuft und verspielt den Lohn und stirbt früh. Marianne Haas ist verbittert, sie schafft es nie, das so ersehnte „Eigentum“ eines eigenen Hauses zu erwirtschaften. Jedes Mal, wenn sie etwas angespart hat, haben sich die Bodenpreise schon wieder verdoppelt und sie beginnt von vorne. Sie zieht sich zurück und legt sich mit jedem im Dorf an. „Deine Mutter war ein schwieriger Mensch. Sie hat fast jeden im Dorf einmal beleidigt“, erzählt eine Nachbarin dem Sohn.
Fesselnder Rhythmus
Die Erzählstimme von Wolf Haas wechselt sich mit der von Marianne Haas ab. Einmal mehr genießt der Leser diese große Kunst des Österreichers, Protagonisten seiner Bücher eine unverwechselbare Stimme zu geben, eine Stimme, die glaubhaft ist.
„Da hab ich Kühe hüten müssen, und Essen hinaustragen hab ich müssen, wenn Gäste in die Wirtschaft gekommen sind. Dann hab ich halt für jeden einen Pullover stricken müssen auf Weihnachten, und Socken ausbessern, was halt gerade zu tun war, nit.“
Dem Autor gelingt es – trotz aller Komik –, sich nie lustig zu machen über das einfache Deutsch der Mutter. Im Gegenteil: Man hört das Liebevolle dabei genau heraus. Haas betont, wie sehr die Erzählungen der Mutter ihn geprägt haben, nicht nur inhaltlich, sondern vor allem die Art und Weise ihrer Sprache:
„In einem sich aufschaukelnden Rhythmus, in einem sich langsam steigernden Tempo, in einer hochkochenden Intonation, in sich um den Hals schlingenden Wiederholungen. So lernte ich schon als kleiner Dreck, dass die Sprache eigentlich Musik ist.“
Wer schon Bücher von Haas gelesen hat, wird das bestätigen: Es ist der besondere Rhythmus, der einen auch an „Eigentum“ fesselt.
Carl Hanser, München 2023
160 Seiten, 22 Euro
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