Der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz hat in seinem Roman „Monde vor der Landung“ das Leben der realen Figur Peter Bender verarbeitet. Bender war Anhänger und Verfechter der „Hohlwelt-Theorie“, der zufolge wir in einer Kugel leben und nicht auf ihr. Er wurde 1893 geboren, war im Ersten Weltkrieg Pilot und kehrte aus diesem schwer traumatisiert und verwundet zurück.
Setz montiert reale Dokumente in seinen Text, dennoch handelt es sich immer noch um einen Roman und nicht um eine Biografie. Manchmal hätte ich mir gewünscht, genauer zu wissen, was Fiktion und was historisch belegte Fakten sind – aber damit muss der Leser leben, wenn er einen Roman liest.
Bender vertritt unbeirrbar seine aberwitzige Theorie, arbeitet mit Vorträgen und Schriften an deren Verbreitung, gründet eine Gemeinde – und bleibt dennoch stets ein Außenseiter. Er verstrickt sich in Widersprüche, so bittet er seine Gemeindemitglieder regelmäßig zur Kasse, schließlich muss er seine Familie durchbringen: seine beiden Kinder und seine Frau Charlotte, eine Jüdin, die früh die Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus erkennt und auf eine schreckliche Art hilflos ist. Hilflos gegenüber den Repressalien, denen sie ausgesetzt ist, sowohl von ihrer Umwelt als auch von ihrem Mann, der die Probleme verdrängt und die Ausreise aus Deutschland immer weiter hinauszögert, bis es zu spät ist. Nebenbei will er auch die „Quadratform der Geschlechter“ durchsetzen, die ihm in erster Linie eine moralische Rechtfertigung für seine Seitensprünge gibt.
Eine eigene Welt
Peter Bender lebt buchstäblich in seiner eigenen Welt. Die kleinsten, noch so absurdesten Zeichen interpretiert er zu seinen Gunsten und wähnt sich kurz vor seinem Durchbruch, während in der realen Welt seine Lage zusehends hoffnungsloser wird. Die Menschen in seiner Umgebung wenden sich von ihm ab, was er Hand in Hand mit (vermutlich) epileptischen Anfällen verdrängt. Bender landet im Gefängnis und wird für verrückt erklärt. Das Ehepaar überlebt die Nazi-Zeit nicht, er stirbt im Lager Mauthausen, sie in Auschwitz.
Setz verpackt immer wieder Bilder in seinen Beschreibungen, die einen mitreißen und begeistern: „Eine äußerst leutscheue, seelenmagere Erscheinung …“ „Ein Scheunentor hatte sich gewaltig verdunkelt. Die Straßenlaternen bekamen im Vorübergehen Reitergesichter.“ „Auf dem Boden neben dem Bett leuchtet die Punktreihe des durch die Filmrollenlöcher in den Rouleaus fallenden Morgenlichts. So spielt die Sonne auf uns Xylophon.“
Alleine für diese fabelhaften Sätze lohnt es sich, sich in die 520 Seiten einzugraben. Ein berührender und aktueller Roman angesichts der modernen Querdenker und Faschisten unserer Zeit.
Suhrkamp, Berlin 2023
528 Seiten; 26 Euro
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